Kimberly zieht nach Neckargemünd
Unsere Internatsschülerin öffnet ihr Tagebuch.
Die ersten Monate im Internat
Mit einem Alter von zwölf Jahren kam Kimberly an das Internat der SRH Stephen-Hawking-Schule. Die lebhafte Gymnasiastin ist wegen einer spastischen Lähmung auf den E-Rolli angewiesen und war zuvor das einzige Inklusionskind in einer Regelschule in Nordrhein-Westfalen. Im Internet hat sie von unserer Schule erfahren und zusammen mit ihrer Mutter alles in Gang gesetzt, damit sie bei uns die Schule und das Internat besuchen kann.
Kimberly wusste ganz genau, was sie von ihrer neuen Schule erwartet: "Ich wünsche mir, dass man besser auf meine Bedürfnisse eingeht und Rücksicht nimmt. Ich möchte selbstständiger werden und zusammen mit anderen körperlich eingeschränkten Kindern leben." Ihre Mutter hat ein Tagebuch über ihre ersten Monate bei uns geschrieben. Wir freuen uns darüber, dass die beiden ihre Eindrücke auf unserer Website teilen und danken für die persönlichen Einblicke.
Die ersten TageAlles neu, alles aufregend!
Mit einem großen Transporter fuhren wir aufgeregt mit Kimberly am Montag zum Schulanfang nach Neckargemünd. An der Pforte wurden wir gleich herzlich empfangen mit einem kleinen Empfangsgeschenk für Kimberly. Noch während wir das Internatszimmer mit Kimberlys Sachen einrichteten, Bilder aufhängten, damit sie es richtig gemütlich hat, war von ihr weit und breit nichts mehr zu sehen. Sie hatte erste Freundschaften mit den anderen Kindern geschlossen und erkundete das Internat ohne uns.
Auch die Einschulung am kommenden Tag meisterte sie, auf Anraten der Schule, erfolgreich ohne uns. Wir hatten uns für die erste Woche, falls Probleme auftreten sollten oder Kimberly Heimweh bekommen sollte, ein Hotel in der Gegend genommen. Wenn sie wollte, konnte sie uns jederzeit anrufen.
Kimberly ist voll beschäftigtNur kurze Besuchszeit für Mama
Montag verging, Dienstag verging, Mittwoch verging - aber kein Anruf von Kimberly. Ich machte mir als Mutter schon Sorgen, bis Donnerstag endlich der erlösende Anruf kam. "Ich habe heute Nachmittag kurz Zeit für euch. Aber abends muss ich wieder im Internat sein, ich möchte beim Abendessen vorbereiten helfen", teilte meine Tochter mir mit. Nur eine Stunde Besuchszeit konnte Kimberly für uns erübrigen.
Am Wochenende, wenn die meisten anderen Internatsschüler nach Hause fahren, hatte Kimberly etwas mehr Zeit für uns. Als wir dann am Sonntagnachmittag zurück nach Nordrhein-Westfalen fuhren, verabschiedeten wir uns mit dem Gefühl, unsere Tochter glücklich und in guten Händen zurückzulassen. Wir vereinbarten, jeden Abend miteinander zu telefonieren. Der erste Anruf kam dann am Mittwochabend mit der kurzen Information: "Keine Zeit heute, ich rufe morgen wieder an."
Etwas langweilig ohne GleichaltrigeDas erste Wochenende alleine
Nach einer aufregenden Woche folgte das erste Wochenende, welches Kimberly alleine im Internat verbringen musste. Sie ist leider derzeit das einzige Kind in ihrem Alter, das am Wochenende im Internat bleibt. Obwohl die Betreuer sich alle Mühe gaben, um Kimberly abzulenken und zu beschäftigen, wurde ihr etwas langweilig und sie vermisste ihre gleichaltrigen Freunde.
Trotz der kleinen Probleme versicherte sie mir, glücklich in Neckargemünd zu sein und ihre Entscheidung nicht zu bereuen.
Ein Chor und Theaterstück zur BegrüßungsfeierKimberly in ihrem Element
Ende September besuchten wir Kimberly erneut anlässlich der Begrüßungsfeier für die neuen Schüler in der SRH Stephen-Hawking-Schule. Zusammen mit ihrem Bruder und ihrem Patenonkel lauschten wir dem Theaterstück, welches traditionell von den letztjährigen Fünftklässlern aufgeführt wird, und dem Schülerchor. Wir waren überrascht, wie frei und stimmgewaltig die Kinder auftraten.
Kimberly war bei der Aufführung voll in ihrem Element und umringt von Lehrern, Therapeuten und ihrer Betreuerin aus dem Aufnahmeteam, die extra wegen ihr zu der Vorführung gekommen war. Nach der Feier gab es für die Familien einen Imbiss und die Möglichkeit, die Lehrer und die Therapeuten kennenzulernen. Für uns war die Begrüßungsfeier eine tolle Chance zu sehen, wie es Kimberly geht und mit welchen Menschen sie täglich Kontakt hat.
Verspätungen: Kein Problem für unsAbenteuer Bahnfahrt
Am Anfang Oktober fuhr Kimberly das erste Mal nach einem Wochenende zu Hause ganz alleine mit dem Zug ins Internat zurück. Sie wollte unbedingt alleine reisen, um den Mobilitätsservice der Deutschen Bahn auszuprobieren. Der Service holt Kimberly aus dem ankommenden Zug und begleitet sie dann zum Platz in dem abfahrenden Zug.
Zwei Stunden, nachdem ich Kimberly zum Bahnhof gebracht hatte, bekam ich einen Anruf von meiner Tochter: "Mama, mein Zug hatte Verspätung und ich habe den Anschluss verpasst", teile sie mir fröhlich mit. Sie können sich denken, dass ich fast wahnsinnig wurde, als ich das hörte. Kimberly aber war völlig entspannt: "Das regeln die Dame vom Mobilitätsservice und ich schon." Keine 45 Minuten später war sie in Neckargemünd. Im Internat hatte sie auch schon Bescheid gegeben, sodass ein Betreuer sie am Bahnhof abholte.
Auf die Frage, ob sie bei den nächsten Heimfahrten eine Begleitung haben möchte, antwortete sie: "Bloß nicht, ich will alleine Zug fahren!"
Am besten ist es, wenn man über alles sprechen kannHerausforderung im Schulalltag
Als wir im November wegen des Elternsprechtages erneut nach Neckargemünd fuhren, bemerkten wir gleich bei unserer Ankunft, dass Kimberly etwas bedrückt war. Ihr Aufenthalt an der SRH Stephen-Hawking-Schule ist seitens des Finanzierungsträgers daran gebunden, dass sie das Gymnasium besucht. Trotz guter Noten machte sie sich Sorgen, dass sie die gymnasiale Stufe nicht schafft.
In Absprache mit den Betreuern haben wir uns Kimberly geschnappt und sind mit ihr nach Hause gefahren. In der Woche, in der sie zu Hause war, führte ich Gespräche mit den Lehrern, Therapeuten und der Ansprechpartnerin von der Aufnahme. Die Gruppe hat sich intern zusammengesetzt, um auszuloten, wie sie Kimberly helfen und unterstützen kann. Zukünftig werden sie ihr dabei helfen, "Lernen zu lernen".
Als wir sie am Sonntag wieder in die Schule zurückbrachten, freute sie sich: "Es ist doch schön, wieder hier zu sein!"
Kimberly setzt sich einEndlich richtig angekommen
Mittlerweile hat sich Kimberly gut im Internat und in der Schule eingelebt und viele Freunde gefunden. Nach nur einem halben Jahr ist sie bereits zur Gruppensprecherin ihrer Internatsgruppe gewählt worden. Ihre Tatkraft kommt auch hier bestens zum Einsatz. Sie hat zum Beispiel bei der Internatsleitung angeregt, dass in ihrer Gruppe ab jetzt dreimal in der Woche frisch gekocht wird!
Unser Bericht endet hier. Wir möchten uns herzlich für die Unterstützung und Hilfe, die die Mitarbeiter der SRH Stephen-Hawking-Schule Kimberly und mir bei der Aufnahme, im Umgang mit Behörden, in der Schule und im Internat entgegengebracht haben, bedanken.
Irene und Kimberly Sander